R.3. Lohngleichstellung

{{A. Die EGÖD-Mitglieder, die sich vom 8. bis zum 11. Juni 2009 in Brüssel zum 8. Kongress des EGÖD versammeln, erkennen folgende Punkte an:}}

1. Es ist nicht akzeptabel, dass mehr als 50 Jahre nach Einführung des Grundsatzes des gleichen Lohns für gleiche Arbeit in den Römischen Verträgen und 34 Jahre nach der Richtlinie über den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen in der EU Frauen nach wie vor im Durchschnitt 15% weniger verdienen als Männer. Zwischen den Ländern und Branchen gibt es beträchtliche Unterschiede, wobei das Lohngefälle in privaten Unternehmen mit durchschnittlich 25% größer ist als im Vergleich zum öffentlichen Sektor mit 12%;

2. Bei den Niedriglohnbeziehern überall in Europa handelt es sich in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle um Frauen. Generell nimmt das geschlechtsspezifische Lohngefälle mit dem Bildungsgrad, der Ebene der hierarchischen Verantwortung, Alter, Länge der Betriebszugehörigkeit, Migrantenstatus und ethnischem Hintergrund weiter zu;

3. Das Lohngefälle hat negative Auswirkungen auf die spätere Altersversorgung von Frauen und verstärkt das bereits vorhandene höhere Armutsrisiko von Frauen;

4. Es hat im öffentlichen Sektor zwar sowohl Fortschritte als auch Rückschritte gegeben, aber es deutet nichts darauf hin, dass die Lohnunterschiede vor dem Hintergrund rückläufiger Löhne im BIP geringer werden;

5. Zu den wichtigsten Gründen für das geschlechtsspezifische Lohngefälle und die niedrigen Löhne von Frauen gehören die Geringschätzung der von Frauen geleisteten Arbeit, ihrer Fähigkeiten und ihrer Kompetenzen sowie die „Mutterschaftsstrafe” und die Unterschiede zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeit. Dies führt zu einer geschlechtsspezifischen Segregation im Hinblick auf Beruf, Branche und Arbeitsmuster und verstärkt die ungleiche Verteilung der Arbeitszeit und der zu Hause verbrachten Zeit, geschlechterstereotype Haltungen und Erwartungen und eine ungerechte Wohlstandsverteilung;

6. Ausländische Arbeitnehmerinnen sind vielfachen Diskriminierungen ausgesetzt. Die besondere gefährdete Situation dieser Frauen wird durch die Regierungen, die EU-Immigrationspolitik und die restriktive Asylpolitik weiter verschärft;

7. Zwar haben Kollektivverhandlungen entscheidende Bedeutung für die Verringerung des Lohngefälles und der Lohnungerechtigkeit. Der Mangel an politischen und finanziellen Investitionen sowie die Rolle des Marktes bei der Lohnfindung begrenzen jedoch ihre positiven Auswirkungen;

8. Der öffentliche Sektor muss als wichtiger Arbeitgeber für Frauen, Anbieter von Pflege- und Betreuungsinfrastrukturen und Regulierer des Arbeitsmarktes eine einflussreiche ausgleichende Rolle übernehmen;

9. Öffentliche Dienste können zwar zu Recht darauf hinweisen, dass sie im Hinblick auf Lohngerechtigkeit eine bessere Bilanz vorzuweisen haben als der private Sektor. In der Vergangenheit erreichte Gleichstellungserfolge werden aber durch die Privatisierungswelle, das Contracting Out, die Unterfinanzierung des öffentlichen Sektors sowie die Individualisierung von Löhnen, die nicht im Rahmen von Kollektivvereinbarungen festgelegt werden, gefährdet. In allen Lohnsystemen müssen die von Frauen geleistete Arbeit, ihr Wissen und ihre Erfahrungen entsprechend gewürdigt werden;

10. Die Initiativen der Europäischen Kommission, das geschlechtsspezifische Lohngefälle abzuschaffen, werden durch die eigene marktbestimmte Politik gegenüber öffentlichen Diensten und durch die Forderungen der Europäischen Zentralbank nach Lohnzurückhaltung im öffentlichen Sektor unterminiert;

11. Die Doppelstrategie des EGÖD, Lohngerechtigkeit zu erreichen und die Löhne von Frauen besonders in den von Frauen dominierten Branchen zu verbessern, muss beibehalten werden. Höhere Löhne für Frauen im öffentlichen Sektor sind entscheidend für die Erwerbstätigkeit von Frauen in diesem Sektor und verringern gleichzeitig das geschlechtsspezifische Lohngefälle auf nationaler Ebene, EU-Ebene und internationaler Ebene;

12. Es gibt Fortschritte durch die Thematisierung der Lohngleichstellung im europäischen Sozialdialog sowohl auf branchenüber- greifender Ebene – durch den Aktionsrahmen für die Geschlechtergleichstellung (März 2005) – als auch auf sektoraler Ebene durch Arbeitshilfen (Toolkits), Leitlinien für Gleichstellungspläne und Konferenzen;

13. Zwar hat das in der EGÖD-Entschließung über Lohngleichstellung 2002-2007 festgelegte Ziel, das geschlechtsspezifische Lohngefälle zwischen 2 und 5% zu verringern, keine Wunder gewirkt, und nur eine kleine Zahl von Gewerkschaften hat dieses Ziel erreicht. Das eigentliche Verdienst ist jedoch darin zu sehen, dass dieses Thema ein Teil der programmatischen Ziele der Gewerkschaften mit Überprüfung der erreichten Fortschritte geworden ist;

14. Bei der Erhöhung des Anteils von Frauen in den EGÖD-Strukturen sind zwar gute Ergebnisse erzielt worden, es sind jedoch weitere Maßnahmen erforderlich, um Geschlechterparität entsprechend den Bestimmungen der Satzung des Verbandes zu erreichen;

15. Erfolge bei der Überwindung des Lohngefälles erfordern die Zusammenarbeit aller Gewerkschaftsorganisationen und Behörden sowie eine echte Verpflichtung seitens der Arbeitgeber;

{{B. Der 8. Kongress fordert den EGÖD und alle seine Mitglieder auf:}}

16. Kampagnen und politische Lobbyarbeit
Auf die Geschlechterdimension in den Forderungen des EGÖD nach qualitativ hochwertigen öffentlichen Diensten für alle in Europa hinzuweisen, besonders im Zusammenhang mit Diensten für die Betreuung von Kindern und betreuungsbedürftigen Personen;

17. Weiterhin gegen Privatisierung, Outsourcing und diverse Formen der Vermarktlichung des öffentlichen Sektors vorzugehen, die das geschlechterspezifische Lohngefälle verstärken;

18. Kampagnen für stärkere Mechanismen der Rechtsdurchsetzung des Lohngleichstellungs-anspruchs in der EU – einschließlich Aktionen von Gruppen und VertreterInnen, effektiver Sanktionen, Nutzung verfügbarer und zuverlässiger geschlechtsspezifischer betrieblicher Lohndaten und der Unterstützung geschlechtsneutraler Lohnsysteme - sowie für die in der Strategie von Lissabon für Beschäftigung und Wachstum genannten eindeutigen Ziele und Zeitpläne sowie für die Begrenzung marktbestimmter Lohnfindung zu führen;

19. Kampagnen für ein EU-weites Recht auf Vollzeitbeschäftigung und auf bezahlten Elternurlaub einschließlich bezahlten und nicht übertragbaren Vaterschaftsurlaubs auf gesetzlichem Weg und/oder über den sozialen Dialog sowie für eine verbesserte Richtlinie für den Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen zu führen;

20. Lobbyarbeit bei Behörden auf Staats-, Landes- und Kommunalebene für die Einführung einer Gleichstellungsklausel in öffentlichen Aufträgen entsprechend den öffentlichen Vergabe-vorschriften der EU zu leisten. Diese Klausel wäre ein wichtiges Instrument, das Risiko schlechterer Löhne für Frauen im Falle der Auslagerung von Dienstleistungen und/oder öffentlich-privaten Partnerschaften zu verringern; Beispiele für gute und schlechte Praktiken werden gesammelt;

21. Die Europäische Kommission aufzufordern, in Konsultation mit dem EGÖD eine Klassifizierung von Tätigkeiten in Pflegediensten vorzunehmen, wie es der Fahrplan für die Gleichstellung von Männern und Frauen 2006-2010 vorsieht;

22. Kollektivverhandlungen, Bildung
Sich für stärkere Kollektivverhandlungen einzusetzen und damit die Lohnzurückhaltungs-strategien aufzugeben und damit auch das Risiko, die europäischen ArbeitnehmerInnen gegeneinander auszuspielen und eine echte, nach oben ausgerichtete Lohngleichstellung zwischen Männern und Frauen zu erreichen;

23. Anzuerkennen, dass das geschlechtsspezifische Lohngefälle die wachsenden Lohnungleichheiten in Europa widerspiegelt; und Arbeitgeber und Behörden nachdrücklich aufzufordern, bei der Festsetzung der Vergütungen für das obere Management Zurückhaltung zu üben, wie dies in der EGB-Kampagne für faire Löhne gefordert wird, sowie die Entwicklung der höchsten Gehälter aufmerksam zu verfolgen;

24. Lohngleichstellungstrends und Lohnsysteme in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Gleichstellungsinstitut und Eurostat zu beobachten;

25. An der Beseitigung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles zu arbeiten und die Löhne von Frauen auf der Grundlage der als Anlage beigefügten EGÖD-Checkliste „Lohngerechtigkeit verhandeln“ („Negotiating equal pay“) zu verbessern und dabei das Ziel zu erreichen, das geschlechtsspezifische Lohngefälle bis 2014 um mindestens 5% zu verringern;

26. Ein Lohngleichstellungsnetzwerk und/oder ein Netzwerk der mit Lohnverhandlungen beauftragten Personen unter Rückgriff auf das EPSUCOB@-Netzwerk zu gründen, um die Umsetzung der Entschließung zu überwachen und dem EGÖD-Exekutivausschuss regelmäßig über Entwicklungen zu berichten;

27. Eine Umfrage über die Auswirkungen der Reformen im öffentlichen Sektor und des deregulierten Binnenmarktes auf die Geschlechtergleichstellung auszuführen;

28. In Zusammenarbeit mit der IÖD und der Bildungseinrichtung des EGB Fortbildungsmaßnahmen zum Thema Lohngleichstellung zu unterstützen einschließlich der Durchführung einer Sonderveranstaltung über die Behandlung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles auf Ebene des Exekutivausschusses;

29. EGÖD-Strukturen
Die Beteiligung von Frauen im Exekutivausschuss und in den ständigen Ausschüssen und an allen Aktivitäten zur Herstellung von Geschlechterparität und/oder einer proportionalen Vertretung entsprechend dem betroffenen Sektor sowie die Beteiligung von Männern im Gleichstellungsausschuss zu verbessern;

30. Lohngleichstellung zu einem regelmäßigen Tagesordnungspunkt der Sitzungen des Exekutivausschusses und der ständigen Ausschüsse des EGÖD zu machen;

31. Verwendung und Förderung des Gebrauchs der EGÖD-Checkliste, um die mit Lohnverhandlungen beauftragten Personen dabei zu unterstützen, die EGÖD-Politik zur Beseitigung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles durchzusetzen und Frauenlöhne zu verbessern. Der EGÖD fordert seine Mitglieder nachdrücklich auf, sich für den Abbau des Lohngefälles bis 2014 ein Ziel von mindestens 5% zu setzen. Die als Anlage beigefügte Checkliste wird vom Gleichstellungsausschuss regelmäßig geprüft und verbessert.

{am 10. Juni 2009 vom Kongress angenommen}

{{ANHANG}}

{{{ {{EGÖD-Checkliste „Lohngerechtigkeit verhandeln”}} }}}

Diese Checkliste soll die mit den Lohnverhandlungen beauftragten GewerkschafterInnen dabei unterstützen, die EGÖD-Politik zur Beseitigung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles durchzusetzen und Frauenlöhne zu verbessern. Der EGÖD fordert seine Mitglieder nachdrücklich auf, sich für den Abbau des Lohngefälles bis 2014 ein Ziel von mindestens 5% zu setzen. Während der Verhandlungen auf nationaler, sektoraler oder lokaler Ebene werden folgende Elemente berücksichtigt:
- Es ist sich davon zu überzeugen, dass Verhandlungsführende, Arbeitgeber und Regierungen verstehen, was der Begriff geschlechtsspezifisches Lohngefälle bedeutet;
- Angebot von Trainingsseminaren an die Verhandlungsteams und/oder Unterstützung entsprechender Schulungsangebote zum Thema Lohngleichstellung, zum Beispiel unter Verwendung des IÖD-Lohngerechtigkeits-Toolkits;
- Förderung von Gleichstellungsplänen auf betrieblicher Ebene, zum Beispiel unter Verwendung der von den Sozialpartnern in der Kommunalverwaltung erarbeiteten EGÖD-Leitlinien (2008);
- Es ist sicherzustellen, dass effektive Verhandlungsstrategien den Beschäftigungsbedingungen den gebührenden Stellenwert zuerkennen; dazu zählen auch Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in Berufen, die von Frauen dominiert werden;
- Es ist sicherzustellen, dass Frauen in Kollektivverhandlungsausschüssen und Verhandlungsteams proportional vertreten sind;
- Es sind geschlechtsspezifische statistische Angaben über Löhne (nach Stunden, Monaten, Sektoren und/oder Tätigkeit) und über Beschäftigung (Voll-/Teilzeit, Art der Arbeitsverträge) zu beschaffen oder von den Arbeitgebern anzufordern (die Gleichbehandlungsrichtlinie von 2002 fordert Arbeitgeber auf, geschlechtsspezifische Daten systematisch zur Verfügung zu stellen);
- Überprüfung der Systeme für die Bewertung beruflicher Tätigkeiten, um diskriminierende Klassifizierungen zu erkennen und zu eliminieren;
- Verhandlungen über eine Anhebung der Mindestlöhne/Hochstufung von Niedriglohn-gruppen sowie über zum Abbau des Lohngefälles vorgesehene Finanzressourcen;
- Förderung von familienfreundlichen Arbeitszeitpolitiken und von Einrichtungen für die Kinderbetreuung;
- Sicherstellen, dass Teilzeitarbeitskräfte die gleichen Rechte haben wie ihre Vollzeit arbeitenden KollegInnen; und Forderung des Rechts auf Rückkehr in eine Vollzeitbeschäftigung;
- Überprüfung indirekter Diskriminierungen durch Sachleistungen, Überstunden-vergütungen, Bonuszahlungen und leistungsorientierte Lohnerhöhungen;
- Vorgehen gegen vertikale Segregation durch Überwachung der Beförderungskriterien und durch Verbesserung der Fortbildungs-möglichkeiten;
- Lobbyarbeit für eine bessere finanzielle Ausstattung der öffentlichen Dienste; Untersuchung der Auswirkungen der Reformen im öffentlichen Sektor einschließlich des Leistungslohns und der Privatisierung auf die Arbeitsbedingungen von Frauen; Forderung nach einer Bewertung der Folgen der vorgeschlagenen Reformen auf die Geschlechtergleichstellung;
- Förderung und Überwachung der Umsetzung der europäischen branchenübergreifenden Vereinbarung über Geschlechtergleichstellung (2005), wobei eine der vier Prioritäten dieser Vereinbarung die Lohngleichstellung und die EU-Rechtsvorschriften über gleichen Lohn sind.

Eine erste Auswertung dieser Entschließung erfolgt auf der Kollektivverhandlungskonferenz 2009/2010. Als Vorbereitung für diese Auswertung auf der Konferenz werden alle EGÖD-Mitglieder ersucht, Zwischenberichte über die gesetzten Ziele und die Methoden vorzulegen, die zum Erreichen dieser Ziele angewendet werden.

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