R.2. Kollektivverhandlungen und sozialen Dialog

{{A. Die EGÖD-Mitgliedsgewerkschaften, die sich vom 8. bis zum 11. Juni 2009 auf dem 8. EGÖD-Kongress in Brüssel versammeln, sind den folgenden Prinzipien und Zielen verpflichtet:}}

1. Gewerkschaftsrechte, Kollektivverhandlungen und der soziale Dialog müssen weiter entwickelt und als Teil des europäischen Sozialmodells gegen direkte Angriffe der Arbeitgeber, gegen die Vermarktlichung öffentlicher Dienste und gegen die Auswirkungen von Outsourcing und Privatisierung verteidigt werden;

2. Der EGÖD arbeitet an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Löhne für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Der EGÖD macht mobil im Kampf gegen schlechte Arbeitsbedingungen, Niedriglöhne und Lohnungerechtigkeit, die es in allen europäischen Ländern gibt. Dies erfordert koordinierte Aktionen der Gewerkschaften auf allen Ebenen durch Kollektivverhandlungen und eine soziale Gesetzgebung;

3. Die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit sowie Gewerkschafts- und Menschenrechte haben Vorrang vor den Regeln des Wettbewerbs und des Handels nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Teilen der Welt. Der EGÖD will, dass die Binnenmarkt- und die Wettbewerbsregeln einen Beitrag zu einer sozial gerechten Gesellschaft leisten und nicht in der EU missbraucht werden, um die Wahrnehmung dieser Rechte sowie Fortschritte in Richtung einer sozial gerechten Gesellschaft innerhalb der EU selbst oder im Rahmen der Außenpolitik der EU oder durch andere Regierungen in Europa einzuschränken;

4. Der globale Wettbewerb wirkt sich heute in direkter Weise auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst aus, da das Sozialdumping den durch Kollektivvereinbarungen gegebenen Schutz untergräbt. Darüber hinaus ist inzwischen erwiesen, dass die Politik der Europäischen Zentralbank zur Kontrolle der Inflation bisher in erster Linie auf Lohnzurückhaltung und der Aufforderung an die einzelstaatlichen Regierungen basiert, vor allem im öffentlichen Sektor Lohnerhöhungen zu begrenzen.

5. Kollektivverhandlungen sind mehr als jemals zuvor ein fundamentales Mittel der sozialen Regulierung und gewährleisten und sichern die Möglichkeit, für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf branchenübergreifender, sektoraler und betrieblicher Ebene angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Kollektiv-verhandlungen sind ebenfalls ein wichtiger Mechanismus, um eine gerechte Einkommens-verteilung zu erreichen;

6. Starke und effektive Gewerkschaftsorgani-sationen sind eine wichtige Voraussetzung für Kollektivverhandlungen. Die Gewerkschaften vertreten die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und haben als Gegengewicht zu den Arbeitgebern die Funktion, Ausbeutung zu verhindern. Kollektivverhandlungskampagnen, die sich für die Interessen der ArbeitnehmerInnen einsetzen, sind ein wichtiges Instrument, um ArbeitnehmerInnen als Mitglieder zu rekrutieren und gewerkschaftlich zu organisieren. Der Aufbau effektiver Systeme industrieller Arbeits-beziehungen ist eine gemeinsame Aufgabe der Gewerkschaften und der Arbeitgeber. Die Arbeitgeber müssen einen Beitrag zum Gelingen von Kollektivverhandlungen leisten und damit starke Beziehungen zwischen der lokalen, nationalen und europäischen Ebene sicherstellen;

7. Kollektivverhandlungen nutzen, um gegen prekäre Arbeitsverhältnisse zu kämpfen, zugewanderte Arbeitskräfte zu schützen und alle Formen der Diskriminierung am Arbeitsplatz zu eliminieren;

8. Durchsetzung unserer Auffassungen über industrielle Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Dienst in Europa; Verbesserung der Koordinierung von Kollektivverhandlungen und aktiver Arbeitsmarktpolitik; Einflussnahme auf das Europäische System der industriellen Arbeitsbeziehungen, das automatisch entsteht. Dies ist erforderlich aufgrund der zunehmenden Integration der europäischen Wirtschaft, die einen schrittweisen Abbau von Handels- und Mobilitätsbarrieren mit sich bringt. Negative Elemente sind die Interventionen der Europäischen Zentralbank im Hinblick auf die Lohnpolitik und die juristischen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (z. B. in den Rechtssachen Laval, Viking, Rüffert). Positive Elemente sind die Vereinbarungen und Positionen, die im Rahmen des europäischen sozialen Dialogs auf sektoraler und intersektoraler Ebene erreicht wurden, die im Rahmen multinationaler Abkommen erzielten transnationalen Vereinbarungen und die Arbeit der Europäischen Betriebsräte

{{B. Der 8. Kongress verpflichtet den EGÖD und seine Mitglieder darauf:}}

9. Für soziale Gerechtigkeit und Beachtung der Gewerkschafts- und Menschenrechte in Europa zu kämpfen und sich dafür einzusetzen, dass diese Prinzipien als primäres Gemeinschaftsrecht im Vertrag über die Europäische Union verankert werden. In seiner jüngsten Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof mehrfach die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder nicht ausreichend berücksichtigt bzw. den Gewerkschaften die Möglichkeit genommen, diese Interessen zu vertreten, sich gegen Sozialdumping zu wehren und sich für die gleichberechtigte Behandlung ausländischer und lokaler Arbeitskräfte sowie für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle ArbeitnehmerInnen in Europa einzusetzen. Der EGÖD wird dafür kämpfen, die relevanten IAO-Übereinkommen zu einem festen Bestandteil der Politik für ein soziales Europa zu machen. Wenn die Europäische Kommission und der Rat die Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln missbrauchen, um die Durchsetzung von Gewerkschaftsrechten einzuschränken und soziale Zielsetzungen in die zweite Reihe zu verweisen, wird sich der EGÖD der weiteren Entwicklung des Binnenmarktes in diese Richtung und der weiteren EU-Integration so lange widersetzen, bis das soziale Europa wieder einen gebührenden Stellenwert hat und eine substanzielle soziale Agenda eingeführt wird.

10. Reale Lohnsteigerungen durchzusetzen und sich umfassend an der EGB-Lohnkampagne für reale Lohnzuwächse zu beteiligen [unter Berück-sichtigung der Inflation und der allgemeinen Produktivitätssteigerungen und in Anlehnung an die Lohnentwicklung im privaten Sektor, siehe ebenfalls EGB-Texte und frühere EGÖD-Kongressunterlagen] und um zu zeigen, dass Arbeitsqualität, Lohnqualität und Arbeitsbedingungen in engem Zusammenhang mit der Lebensqualität der Beschäftigten im öffentlichen Dienst stehen;

11. ArbeitnehmerInnen und ihre Gewerkschaften zu unterstützen, die keine Löhne erhalten und die um die Zahlung ihrer rückständigen Löhne kämpfen;

12. Sich für die Verbesserung der Löhne und der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Europa und besonders für den Grundsatz des gleichen Lohns für gleichwertige Arbeit von Männern und Frauen einzusetzen sowie Niedriglöhne durch die Anhebung von Mindestlöhnen zu bekämpfen. Maßgebend sind hierbei die vom EGÖD-Exekutivausschuss definierten Ziele“ – in Ländern, in denen es gesetzlich vorgeschriebene Mindestlöhne gibt, sollten diese mindestens 60% und die in Kollektiv-verhandlungen festgelegten Mindestlöhne mindestens 70% des durchschnittlichen Monatslohnes erreichen. Der EGÖD informiert sich über die Strategien der Arbeitgeber zur Vermeidung von Mindestlohnzahlungen;

13. Die staatliche Alterssicherung und angemessene Rentenbezüge für alle zu verteidigen, die Entwicklungen in der Altersversorgung zu beobachten und die EGÖD-Kongressentschließung über die Altersvorsorge aus dem Jahre 2004 umzusetzen;

14. Ziele für Kollektivverhandlungen zu entwickeln, z. B.:
-* Arbeitszeit
-* Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz
-* Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben,
-* Arbeitsqualität,
-* Weiterqualifizierung, lebenslanges Lernen,
-* demographischer Wandel und Integration junger und älterer ArbeitnehmerInnen in den Arbeitsmarkt,
-* Klimawandel,
-* Bekämpfung aller Formen von Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit am Arbeitsplatz,
-* Ausübung einer beruflichen Tätigkeit und Förderung fester unbefristeter Arbeitsverhältnisse als bester Schutz gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse,
-* Stärkung der Rechte der ArbeitnehmerInnen, die Teilzeitverträge haben oder als Leiharbeitskräfte arbeiten,
-* Aufgreifen neuer Themen, wenn dies angebracht ist;

15. Die Ausbeutung zugewanderter Arbeitskräfte einschließlich ArbeitnehmerInnen ohne Papiere durch Arbeitgeber und Agenturen zu verhindern, sich weiter mit dem Thema Fachkräftemangel, legale Migration und Kollektivverhandlungen zu befassen und sich für die Gleichbehandlung von ArbeitnehmerInnen am Arbeitsplatz einzusetzen unabhängig davon, aus welchem Land diese Beschäftigten stammen;

16. Sich im Rahmen koordinierter Vorschläge an die Arbeitgeber dafür einzusetzen, dass es in öffentlichen Aufträgen Normen für Beschäftigungsverhältnisse gibt; zu verhindern, dass sich Outsourcing und Privatisierung negativ auf Kollektivverhandlungen und die Arbeitsqualität auswirken; Musterklauseln für öffentliche Aufträge zu entwickeln, die Bestandteil der mit Unternehmen abzuschließenden Verträge werden und wobei mit großen Unternehmen im Organisationsbereich des EGÖD angefangen werden sollte mit dem langfristigen Ziel, diese Klauseln in EU-Recht zu integrieren;

17. Die Outsourcing-Checkliste des EGÖD Weise einzusetzen, um gemeinsame Positionen oder Vereinbarungen mit Unternehmen und europäischen Arbeitgebern zu erreichen;

18. Sich direkt und indirekt über den EGB für das sich entwickelnde europäische System der industriellen Arbeitsbeziehungen, die Anerkennung der europäischen Gewerkschafts-verbände und das Recht auf transnationale gewerkschaftliche Aktionen einzusetzen. Wir wiederholen unsere Forderung nach der Gründung eines Europäischen Arbeitsgerichts oder einer vergleichbaren Institution;

19. Die Überwachung, den Austausch und die Analyse von Informationen über Arbeits-bedingungen, Kollektivverhandlungen und die Entwicklung des sozialen Dialogs mit Hilfe des epsucob@-Newsletters, des Jahresberichts, der Website und der Datenbank zu verbessern; dafür zu sorgen, dass alle Mitglieder im epsucob@-Netzwerk umfassend vertreten sind; die hierfür zur Verfügung stehenden Ressourcen aufzustocken und Entwicklungen im Bereich Kollektivverhandlungen in den satzungsgemäßen Sitzungen zu erörtern;

20. Die (regionale und sektorale) Koordinierung der von Mitgliedsgewerkschaften unter der Schirmherrschaft des EGÖD durchgeführten Kollektivverhandlungsinitiativen zu unterstützen, zu fördern und sich daran zu beteiligen;

21. Der EGÖD will eine europäische Beschäftigungs-, Wirtschafts- und öffentliche Finanzpolitik, die positive Auswirkungen auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst hat. Um sicherzustellen, dass der EGÖD gehört und die Gewerkschaften konsultiert werden, erwägt der EGÖD die Gründung eines Netzwerks von Wirtschafts-wissenschaftlerInnen und anderen Fachleuten, die die Analyse dieser Politiken unterstützen und auf diese Weise den EGÖD mit der erforderlichen Argumentationshilfe versorgen, um eine effektive Rolle bei der Koordinierung der EGB-Wirtschaftspolitik und der EGB-Vertretung gegenüber der Kommission, dem ECOFIN, den FinanzministerInnen der Eurozone und der EZB übernehmen zu können. Der EGÖD wird gegen jede (europäische) Wirtschafts- und Finanzpolitik vorgehen, die öffentliche Dienste und ihre Qualität sowie die Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst untergräbt;

22. Gemeinsame Strategien und Initiativen zur Verbesserung der Effektivität des europäischen sozialen Dialogs zu entwickeln, dazu gehören auch die bessere Umsetzung und Evaluierung vereinbarter Texte und der Aufbau von Kapazitäten auf nationaler Ebene, wenn dies erforderlich ist; weiterhin im Rahmen der ständigen EGÖD-Ausschüsse Grundsatz-positionen zu entwickeln, die in den sektoralen sozialen Dialog aufgenommen werden können und dies effektiv in den Sektoren zu koordinieren; und wo dies angezeigt erscheint, sich auf die strategischen Sektoren zu einigen, in denen gezielt auf einen europäischen sozialen Dialog hingearbeitet werden soll; weiterhin zusätzliche Mittel zur Unterstützung des sozialen Dialogs. Der EGÖD prüft, inwiefern Beispiele für beste (Sozialdialog-)Praktiken für die Gewerkschaften in der EU und auch außerhalb der EU von Nutzen sein können;

23. Die Ergebnisse der sektoralen Sozialdialoge zu evaluieren und ihre Effektivität beim Erreichen der wichtigsten Ziele des EGÖD, die Verwendung der Ergebnisse des sozialen Dialogs auf nationaler Ebene und die hierzu eingesetzten Ressourcen bis 2013 zu beurteilen;

24. Ihre Aktivitäten im Bereich multinationaler Unternehmen weiter zu koordinieren und mit den betroffenen Gewerkschaften gezielt Unternehmen für die Gründung Europäischer Betriebsräte zu gewinnen, transnationale Gewerkschaftsnetzwerke in diesen Unternehmen aufzubauen, das EBR-KoordinatorInnen-Netzwerk weiter auszubauen, Gewerkschaften bei der Analyse von Sektoren und Unternehmen zu unterstützen, Gewerkschaften und EBRs zu unterstützen und EGÖD-Grundsatzpositionen zu Themen mit EBR-Bezug zu entwickeln; ebenfalls auf den Trend zu verhandelten transnationalen Vereinbarungen zu reagieren, die Rolle der Gewerkschaftsverbände und Gewerkschaften zu definieren und Verhandlungsprozeduren zu prüfen und neu zu bewerten;

{am 9. Juni 2009 vom Kongress angenommen}

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