Rahmenvereinbarung über die Vermeidung von Verletzungen durch scharfe medizinische Instrumente im Krankenhaussektor und im Gesundheitswesen

(4. August 2009) Wir freuen uns euch mitteilen zu können, dass die oben genannte Rahmenvereinbarung am 17. Juli von Karen Jennings, der Vorsitzenden des ständigen EGÖD-Ausschusses für Gesundheits- und Sozialdienste, und Godfrey Pereira, dem Generalsekretär der Europäischen Arbeitgebervereinigung für Kliniken und Gesundheitswesen HOSPEEM in Anwesenheit von EU-Beschäftigungs- und Sozialkommissar Vladimir Spidla und EGÖD-Präsidentin Anne-Marie Perret unterzeichnet wurde. Die Entscheidungsgremien sowohl des EGÖD als auch von HOSPEEM haben diese Vereinbarung befürwortet, deren Unterzeichnung den Abschluss sechsmonatiger Verhandlungen krönt. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, besonders den Mitgliedern der EGÖD-Verhandlungsgruppe für ihre wertvolle Mitwirkung und ihr Fachwissen zu danken, ohne die wir diese Vereinbarung sicher nicht zu einem erfolgreichen Abschluss hätten bringen können. Die Vereinbarung wird in beträchtlichem Maße zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Millionen Beschäftigten in Gesundheitsberufen in der Europäischen Union und auch in anderen Ländern beitragen. Aufgrund des ganzheitlichen Denkansatzes wird der Zusammenhang zwischen Risikoexposition, Risikoabschätzung und Arbeitsumfeld besonders deutlich und zeigt, wie wichtig eine gut ausgestattete und organisierte Arbeitsumgebung ist.
Als Richtlinie wird diese Vereinbarung zu einem verbindlichen Rechtsinstrument in den EU-Mitgliedstaaten und den Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums. Die Vereinbarung kann aber auch als Blaupause für die Verbesserung der einschlägigen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften in Europa insgesamt genutzt werden. Wir fügen eine Kopie der unterzeichneten Vereinbarung als Anlage zum vorliegenden Schreiben hinzu. Die Vereinbarung wird in alle EU-Sprachen übersetzt, und der EGÖD wird dafür sorgen, dass auch eine Übersetzung ins Russische zu Verfügung stehen wird.

Inhalt der Vereinbarung:

- Allgemeine Überlegungen: Die Vereinbarung ist im Kontext der entsprechenden EU-Gesundheits- und Sicherheitsrichtlinien zu sehen, wobei hier besonders die Richtlinie des Rates 2000/54/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit zu nennen ist. Von gleicher Bedeutung ist der Bezug zur Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft. Nicht zuletzt wird auch auf die gemeinsamen IAO/WHO-Leitsätze über die postexpositionelle Prophylaxe zur Vermeidung von HIV-Infektionen verwiesen.
- Zweck: Erreichen einer Arbeitsumgebung größtmöglicher Sicherheit unter Vermeidung von Verletzungen der ArbeitnehmerInnen durch ein integriertes Modell der Risikoabschätzung, Risikovermeidung, Ausbildung, Unterrichtung, Bewusstseinbildung und Überwachung.
- Geltungsbereich: Alle Beschäftigten im Krankenhaus- und Gesundheitssektor und alle Personen, die unter der Weisungsbefugnis und Aufsicht ihrer Arbeitgeber tätig sind; als Beschäftigte gelten ebenfalls PraktikantInnen, Auszubildende und Zeitarbeitskräfte. StudentInnen in der klinischen Ausbildung werden zwar im Sinne dieser Vereinbarung nicht als ArbeitnehmerInnen angesehen, in der Vereinbarung heißt es jedoch, dass „für sie ebenfalls die beschriebenen Präventions- und Schutzmaßnahmen gelten sollten.’
- Definition: Wir haben uns für den größtmöglichen Geltungsumfang der Vereinbarung eingesetzt, damit alle von einem Arbeitgeber beschäftigten Personen und damit auch PraktikantInnen und Lehrlinge im Krankenhaus- und Gesundheitssektor sowie in damit verbundenen Dienstleistungen und Aktivitäten als ArbeitnehmerInnen gelten, ebenfalls Zeit- und Leiharbeitskräfte. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Definition einer Hierarchie der zu ergreifenden Maßnahmen entsprechend ihrer Effektivität, Verletzungs- und Infektionsrisiken zu vermeiden, zu eliminieren und zu reduzieren.
- Grundsätze: Gut ausgebildetes, gut ausgestattetes und unter sicheren Bedingungen arbeitendes Personal im Gesundheitssektor ist eine unverzichtbare Voraussetzung, um Verletzungs- und Infektionsrisiken durch scharfe medizinische Instrumente zu vermeiden. Die Expositionsprävention ist von höchster Bedeutung; die Rolle der ArbeitsschutzvertreterInnen wird hervorgehoben; die Vereinbarung legt ein hierarchisch gegliedertes Programm der Risikoeliminierung und –prävention vor; und es wird auf die Bedeutung bewusstseinsbildender Maßnahmen und einer ‚No-Blame-Fehlerkultur’ hingewiesen.
- Risikoabschätzung: Aussagen über die Expositionswahrscheinlichkeit; klare Vorstellung von der Bedeutung eines gut ausgestatteten und organisierten Arbeitsumfeldes unter Berücksichtigung technischer Möglichkeiten, Arbeitsorganisation, Arbeitsbedingungen, Qualifikationsgrad und arbeitsbezogener psychosozialer Faktoren.
- Eliminierung, Prävention, Schutz: Als wichtige Regel beinhaltet die Vereinbarung, dass die Praxis des Zurücksteckens von Schutzkappen auf benutzte Kanülen mit sofortiger Wirkung untersagt wird. Sichere Verfahren für die Verwendung und Entsorgung scharfer Instrumente und kontaminierter Abfälle müssen eingeführt werden. Die unnötige Verwendung scharfer Instrumente ist zu beenden; es müssen technisch sichere Behälter für die Entsorgung scharfer Instrumente und Injektionsbestecke in unmittelbarer Nähe der Risikobereiche zur Verfügung stehen, in denen diese scharfen Gegenstände benutzt werden oder zu finden sind. Im Falle einer Verletzung wird allen ArbeitnehmerInnen und StudentInnen eine kostenlose Impfung angeboten.
- Die Bedeutung von Unterrichtung, bewusstseinsbildenden Maßnahmen, Ausbildung und Meldung von Zwischenfällen wird in allen Aspekten beschrieben.
- Direktmaßnahmen nach Verletzungen, Anschlussmaßnahmen: Maßnahmen zur Betreuung verletzter ArbeitnehmerInnen einschließlich postexpositioneller Prophylaxe: gegebenenfalls Beratung der betroffenen ArbeitnehmerInnen und garantierte medizinische Behandlung. Reha-Maßnahmen, Weiterbeschäftigung und Entschädigung entsprechend nationaler oder branchenbezogener Vereinbarungen oder Gesetze.
- Umsetzung: Eine Nichtrückschrittsklausel sorgt dafür, dass diese Vereinbarung keine Wirkung im Falle von günstigeren bestehenden oder zukünftigen nationalen oder gemeinschaftlichen Vorschriften hat. Mit Umsetzung in eine Richtlinie des Rates wird diese Vereinbarung zu verbindlichem nationalem Recht.

Folgeinitiativen:

Beide Parteien haben bei der Europäischen Kommission beantragt, die erforderlichen Schritte entsprechend Artikel 139, Absatz 2 des EU-Vertrags einzuleiten. Wir wurden darüber informiert, dass die Vereinbarung bis Ende des Jahres voraussichtlich alle erforderlichen Verfahren im Europäischen Parlament und im Rat durchlaufen haben wird. Diese Institutionen sind aufgefordert, eine Stellungnahme zum Wortlaut der Vereinbarung anzugeben, können diese aber in ihrer Substanz nicht ändern.
Im Herbst werden wir Möglichkeiten prüfen, wie wir die Weitergabe der Rahmenvereinbarung – auch in Zusammenarbeit mit der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz in Bilbao – am besten fördern können. Im Idealfall sollte an jedem Arbeitsplatz im Gesundheitssektor ein Exemplar dieser Vereinbarung zu finden sei. Gleich wichtig wird es sein, dass die nationalen Sozialpartner in den Prozess der Umsetzung in nationales Recht eingebunden werden. Die Übersetzungen der Vereinbarung müssen von den nationalen Sozialpartnern anhand des englischen Originaltextes genauestens auf Richtigkeit überprüft werden.

Mit freundlichem Gruß

Unterzeichnete endgültige Vereinbarung (in allen EGÖD-Sprachen)