EGÖD-Analyse der Mitteilung der Europäischen Kommission über die Umsetzung des Gemeinschaftsprogramms von Lissabon: Die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse in der Europäischen Union (KOM (2006) 177 endg.)

{{{EGÖD-Analyse der Mitteilung der Europäischen Kommission über die Umsetzung des Gemeinschaftsprogramms von Lissabon: Die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse in der Europäischen Union (KOM (2006) 177 endg.)}}}

{Vom EGÖD-Exekutivausschuss am 9 juni 2006 angenommen}

{{Am 26. April 2006 hat die Europäische Kommission (EC) ihre lang erwartete Mitteilung über Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse (SDAI) veröffentlicht. Die Kommission hat mehrere Jahre an diesem Dokument gearbeitet. Leider bleiben Qualität und Inhalt dieses Papiers weit hinter den Erwartungen des EGÖD zurück. Die Europäische Kommission lässt keine neuen politischen Ansätze im Hinblick auf SDAI erkennen. Schlimmer noch - die Kommission vertritt den Standpunkt, dass die Binnenmarktvorschriften grundsätzlich befolgt werden müssen und dass es hier kein Interesse an einer Rechtsetzung gebe, die den Aspekt des allgemeinen Interesses von Sozialdienstleistungen schützt. Nach Auffassung des EGÖD fehlt es der Mitteilung insgesamt an einer echten Auseinandersetzung mit den Solidaritätsaspekten von Sozialdienstleistungen und mit den Aufgaben, die öffentliche Dienste hier übernehmen können oder sollen. Aus diesem Grund fordert der EGÖD die Europäische Kommission, aber auch das Europäische Parlament und den Rat auf, sich erneut intensiv mit der Forderung nach einer Rahmenrichtlinie für alle Dienstleistungen von allgemeinem Intresse zu befassen.
Die vorliegende Analyse kommentiert einige spezielle Punkte, die in der Mitteilung der Europäischen Kommission ausgeführt werden.}}

{{Separate Rechtsetzung für Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse?}}

1. Die Mitteilung der Kommission über SDAI ist Teil der EU-Diskussion über Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse (DA(W)I). EGÖD, EGB und andere europäische Gewerkschaftsverbände sowie eine Reihe von NGO fordern einen Rechtsrahmen zum Schutz von DAI (sowohl wirtschaftlicher als auch nicht-wirtschaftlicher Art). Mit diesem Instrument soll sichergestellt werden, dass das allgemeine Interesse Vorrang vor den Gesetzen des Marktes hat und dass für DA(W)I die allgemeinen Grundsätze für öffentliche Dienste gelten, nämlich Zugänglichkeit, Universalität, Erschwinglichkeit, Solidarität und demokratische Kontrolle. Der EGÖD erwartet von den Regierungen, dass sie sich über ihre Verpflichtungen gegenüber ihren BürgerInnen und der Gesellschaft insgesamt klar sind und dass eine transparente öffentliche Debatte über das Konzept von öffentlichen Diensten auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene geführt wird. Ein Rechtsrahmen erleichtert dies, weil die einzelstaatlichen Regierungen dann gezwungen sind, bei ihren Entscheidungen zum Beispiel über Umstrukturierung oder Dezentralisierung diese allgemeinen Grundsätze des öffentlichen Dienstes zu berücksichtigen. Die Zugänglichkeit und die Qualität öffentlicher Dienste sollte im Mittelpunkt jeder Regierungspolitik stehen - nicht nur, weil es hier um die Ausgabe unserer Steuergelder geht, sondern weil dies die eigentliche Aufgabe unserer Regierungen ist.

2. Es gibt noch einen weiteren Grund, warum wir einen allgemeinen Rechtsrahmen vorziehen und nicht unbedingt eine spezifische sektorale Rechtsetzung. Ein sektoraler Ansatz würde die Mitgliedstaaten dazu zwingen, ihre öffentlichen Dienste von allgemeinem Interesse nach den Normen und Merkmalen eines bestimmten Sektors laut europäischer Gesetzgebung zu definieren. Die DAI sollen dann den Vorgaben der EU-Institutionen für Sozialdienste, Bildung, öffentliche Versorgung usw. entsprechen; damit

wäre natürlich die Freiheit der Mitgliedstaaten, diese DA(W)I selbst zu kategorisieren oder zu definieren, stark eingeschränkt. Die Mitgliedstaaten könnte z. B. völlig unterschiedliche Standpunkte bei der Definition von Gesundheitsdienstleistungen haben - die Frage stellt sich aber, wie viel Spielraum eine sektorale Gesetzgebung für die Anwendung eigener Definitionen lässt. Da Mitgliedstaaten unbedingt selbst und nach eigenem Ermessen definieren müssen, was DA(W)I sind und dabei nicht europäischen Kriterien und Definitionen unterworfen sein dürfen, brauchen wir einen allgemeinen Rechtsrahmen. Dieser wird auch das Risiko verringern, dass spezielle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse übersehen werden und dann mehr oder weniger den Kräften des freien Marktes ausgesetzt sind, weil sie nicht irgendeiner europäischen sektoralen Beschreibung oder Initiative entsprechen.
{{
Definition der Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse}}

3. Es ist nicht möglich, eine alles umfassende Definition von sozialen Dienstleistungen in der EU zu geben. Zwar hat der Fragebogen der Europäischen Kommission und das Weißbuch der Kommission über DAI bereits den Versuch einer Definition von Sozialdienstleistungen unternommen und zum Beispiel betont, dass diese Dienstleistungen einen personenbezogenen Charakter haben. Der Rücklauf auf den Fragebogen hat aber deutlich gezeigt, dass Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse in den einzelnen Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich bewertet werden. Aus diesem Grund konnte die Kommission in ihrer Mitteilung keine eindeutige Definition für diese Dienstleistungen anbieten. Die Kommission räumt den Mitgliedstaaten zwar angeblich volles Mitspracherecht in der Definitionsfrage ein, beschreibt aber ein Sozialdienstleistungskonzept, das einige spezielle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und mit sozialen Merkmalen ein- bzw. ausschließt.

4. Nach Auffassung der Europäischen Kommission gibt es bei Sozialdienstleistungen zwei Hauptkategorien:
a) die gesetzlichen Reglungen und ergänzenden Systeme der sozialen Sicherung zur Absicherung elementarer Lebensrisiken
b) persönliche Dienstleistungen.
Diese Dienstleistungen spielen eine wichtige Rolle bei der Prävention und der Sicherstellung des sozialen Zusammenhalts und leisten individuelle Hilfe für Einzelpersonen zur Erleichterung ihrer Integration in die Gesellschaft und der Wahrnehmung ihrer Grundrechte. Dazu gehört in erster Linie
-* Menschen dabei zu helfen, entscheidende Momente in ihrem Leben und auch Krisen zu bewältigen
-* Aktivitäten zur Unterstützung der umfassenden sozialen Eingliederung der betroffenen Personen in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt (diese Dienstleistungen ergänzen und unterstützen die Rolle der Familie in der Fürsorge für die jüngsten und die ältesten Mitbürger)
-* Aktivitäten zur Integration von Personen mit langfristigen Bedürfnissen aufgrund einer Behinderung oder eines Gesundheitsproblems
-* Sozialwohnungen

5. Es ist nicht klar, ob die Mitgliedstaaten das Recht haben, weitere Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse anzugeben, die nicht zu der oben gegebenen Beschreibung passen. Die Mitteilung der Kommission vermittelt den Eindruck, dass dies nicht möglich ist. Das wirft natürlich die Frage auf, welchen Status diese anderen Sozialdienstleistungen dann haben werden und in welcher Weise sie „vor den Marktkräften geschützt“ werden. Man könnte zum Beispiel Zweifel an der Forderung haben, dass alle Sozialdienste persönliche Dienstleistungen sein sollen. Viele Dienstleistungen, die eindeutig einem allgemeinen Interesse entsprechen und soziale Merkmale habe, müssen nicht zwangsläufig als persönliche Dienstleistung erbracht werden. Viele gemeinnützige Organisationen spielen in der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle, erbringen aber nicht unbedingt persönliche Dienstleistungen - das gilt für Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen, Sozialforschungseinrichtungen, Tierschützer usw. Wie will die Kommission diese Dienstleistungen kategorisieren? Würde die finanzielle Unterstützung dieser Organisationen als (illegale) staatliche Beihilfe angesehen? Wären sie als DAI, DAWI oder einfache wirtschaftliche Aktivitäten und Dienstleistungen zu werten? Die gleichen Aussagen dürften auch auf zahlreiche kommunale Dienste zutreffen, die soziale Veranstaltungen und Aktivitäten organisieren und Einrichtungen für Stadtteile und Dörfer wie Büchereien, Schwimmbäder und Parkanlagen zur Verfügung stellen. Man kann kaum behaupten, dass dies persönliche Dienstleistungen sind, Ohne Zweifel sind diese Dienstleistungen aber wichtig für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft .

6. Auf der anderen Seite gibt es alle möglichen Arten persönlicher Dienstleistungen, die für den Zusammenhalt einer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen, die allgemein aber nicht als SDAI angesehen werden, zum Beispiel Post- und Telekommunikationsdienste und die Abfallentsorgung. Die Mitteilung der Kommission stellt deshalb eine unzulässige Vereinfachung der komplexen Welt der Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse dar und erklärt an keiner Stelle die Gründe für die Wahl der beiden oben genannten, schlecht definierten Hauptkategorien. Noch negativer zu bewerten ist, dass die Kommission den BürgerInnen den Eindruck vermittelt, dass sie sich mit allen möglichen Sozialdienstleistungen befasst, in Wirklichkeit aber nur Sozialpflege und Unterstützung anspricht (einschließlich Sozialwohnungen und sozialer Sicherung).

7. Es fällt ebenfalls auf, dass Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen zwar Dienstleistungen von allgemeinem Interesse mit einer klaren sozialen Funktion sind, diese aber in der Mitteilung keine Erwähnung finden. Die Kommission hat keine Erklärung dafür gegeben, warum allgemeine und berufliche Bildung aus dem Anwendungsbereich ausgenommen wurden; man kann aber davon ausgehen, dass dies mit der Dienstleistungsrichtlinie zusammenhängt, die allgemeine und berufliche Bildung nicht generell ausklammert. Das könnte der Definition von SDAI entsprechen, wie sie in der Mitteilung benutzt wird und die ebenfalls an die Art und Weise erinnert, in der Sozialdienstleistungen in der Dienstleistungsrichtlinie beschrieben werden. In der Mitteilung heißt es, dass die Kommission für Gesundheitsdienste eine getrennte Initiative vorlegen will.

8. Anstatt einen generellen sektoralen Ansatz für SDAI zu wählen, hat sich die Kommission erneut dafür entschieden, einen großen Sektor in zahlreiche kleine Untersektoren aufzuteilen. Dadurch entsteht wieder ein hohes Maß an Unsicherheit und Verwirrung, und die Mitgliedstaaten haben weniger Spielraum für die Entwicklung ihrer eigenen Politik.

9. Zwar wäre auch der EGÖD nicht in der Lage, eine vollständige Liste mit allen Sozialdienstleistungen im allgemeinen Interesse zu erstellen und damit die Begrenzungen der Kommissionsdefinition nachzuweisen. Es ist aber nützlich, eine allgemeinere Übersicht über mögliche SDAI in den unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten zu geben.

10. Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse können sein:
a) Pflege- und Fürsorgeleistungen
• Gesundheitsdienstleistungen - z. B. Erstversorgung, Krankenhäuser, Spezialisten, Notärzte, Pharmazeuten, Reha-Zentren
• Langzeitpflege für ältere Menschen sowie für Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen
• Medizinische und nicht-medizinische häusliche Pflegedienste
b) Hilfe und Schutz - z. B. Kinderschutz, Unterstützung von Familien, Hilfen für Obdachlose, Drogenabhängige, Flüchtlinge und Asylbewerber
c) Kommunale Dienste, z. B. Jugendarbeit, Nachbarschaftshilfe, Sport- und Kultureinrichtungen
d) Organisationen der Zivilgesellschaft (Gewerkschaften, politische Gruppen zahlreiche NGO)
e) Kinderbetreuung
f) Systeme der sozialen Absicherung (gesetzliche und ergänzende)
g) Arbeitsvermittlungen
h) Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung
i) Sozialwohnungen

Merkmale sozialer Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

10. Nach Auffassung der EC zeichnen sich Sozialdienstleistungen oft durch eines oder mehrere der folgenden organisatorischen Merkmale aus:
• Funktion nach dem Grundsatz der Solidarität, unter anderem in dem Sinne, dass Risiken ausgeschlossen werden und kein Ausgleich zwischen Beiträgen und Leistungen im Einzelfall stattfindet;
• flexible und personenbezogene Arbeitsweise mit Lösungen für die verschiedensten Bedürfnisse, um die Menschenrechte zu garantieren und die am stärksten gefährdeten Personengruppen zu schützen;
• ohne Erwerbszweck, unter anderem im Hinblick auf besonders schwierige Situationen, oft auch historisch bedingt;
• freiwillige bzw. ehrenamtliche Mitarbeit, als Ausdruck aktiven Bürgersinns;
• starke Verankerung in kulturellen (lokalen) Traditionen. Dies kommt insbesondere in der räumlichen Nähe zwischen dem Dienstleistungserbringer und dem Nutzer zum Ausdruck, wodurch die spezifischen Bedürfnisse des Nutzers besser berücksichtigt werden können;
• ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Anbietern und Nutzern von Sozialdienstleistungen ist nicht vergleichbar mit einem „normalen“ Dienstleister-Verbraucher-Verhältnis, da ein zahlender Dritter beteiligt sein muss.

11. Die EC hat nicht klargestellt, welche Rolle diese Merkmale bei der Frage der Definition und bei der Debatte über SDAI allgemein spielen. Werden diese Merkmale herangezogen um zu bestimmen, welche Dienstleistungen als SDAI zu werten sind und welche nicht? Oder sind sie die Begründung für die Erklärung, dass die normalen Marktgesetze für diese Dienstleistungen nicht anwendbar sind? Es sieht so aus, als wolle die Kommission sie als Ausgangspunkt für einen in die Tiefe gehenden Konsultationsprozess verwenden, und dies gibt Anlass zu Sorge.

12. Tatsache ist, dass diese oben genannten Merkmale auf Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse angewendet werden können, dies aber nicht notwendigerweise der Fall ist. Insgesamt könnte man schließen, dass die Kommission bei diesen Merkmalen den „Fürsorge-Aspekt“ der SDAI hervorhebt, dabei aber die Tatsache außer Acht lässt, dass viele der Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse der Allgemeinheit dienen und in alltäglichen öffentlichen Dienstleistungen wie der Betreuung von Kindern und alten Menschen bestehen. Es existiert die konkrete Gefahr, dass diese Art von Dienstleistungen als normale „Marktdienstleistungen“ behandelt werden - vor allem dann, wenn sie von privaten Unternehmen erbracht werden. Marktbefürworter könnten dahingehend argumentieren, dass sich aus der Tatsache der Beteiligung privater Unternehmen der Schluss ziehen lasse, dass diese Dienstleistungen keiner Sonderbehandlung oder einer auf dem Solidaritätsgedanken basierenden Regulierung bedürften. Es ist aber für die Garantie einer guten Qualität von Sozialdienstleistungen und im Sinne der Verbesserung des sozialen Zusammenhalts in einer Gesellschaft wichtig, dass viele dieser SDAI der breiten Öffentlichkeit und nicht nur benachteiligten Bevölkerungsgruppen dienen.

Gesundheitsdienstleistungen und SDAI

13. Da es allgemein die Tendenz zu einem ganzheitlichen Modell von Gesundheitswesen und Gesundheitsdienstleistungen gibt, wird eine eindeutige Unterscheidung von Gesundheitsdiensten und anderen Pflegediensten immer schwieriger. Viele Fachkräfte im Gesundheitswesen arbeiten heute für Sozialdienste, während in den Gesundheitsdiensten viel nicht-medizinisches Personal beschäftigt ist. Obwohl die EC beschlossen hat, Gesundheitsdienstleistungen in der Mitteilung über SDAI nicht zu berücksichtigen, trifft sie keine klare Unterscheidung zwischen Gesundheitsdiensten und anderen Pflegediensten. In der Dienstleistungsrichtlinie hingegen werden Gesundheitsdienste definiert als Gesundheits- und pharmazeutische Dienstleistungen, die von Angehörigen eines Berufs im Gesundheitswesen gegenüber Patienten erbracht werden, um deren Gesundheitszustand zu beurteilen, zu erhalten oder wiederherzustellen, wenn diese Tätigkeiten in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistungen erbracht werden, einem reglementierten Gesundheitsberuf vorbehalten sind.

14. Nach diesem Vorschlag sind unter Gesundheitsdienstleistungen zu verstehen Erstversorgung, Krankenhausversorgung und spezielle medizinische Versorgung, aber auch die Versorgung in der Langzeitpflege, in Einrichtungen der psychischen Gesundheitsversorgung oder in der häuslichen Pflege. .All diese Dienste scheinen in ihrer Gesamtheit auch als Sozialdienste angesehen werden, und eine Rechtsetzung mit Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung wird deshalb auch Auswirkungen auf die Sozialpflegedienst haben. Das kann zu einer komplexen Situation derart führen, dass bestimmte Pflegedienste innerhalb ein und derselben Einrichtung nach den Bestimmungen der Gesundheitsdienstleistungen ausgeführt werden, andere hingegen nach denen für Sozialdienstleistungen. Wenn die Kommission weitere Gesetze im Bereich Sozialdienstleistungen und Gesundheitsdienstleistungen plant, sollte sie zumindestens die offenen Grenzen zwischen „regulierter medizinischer“ Gesundheitsversorgung und nicht-regulierter Gesundheitsversorgung im Rahmen von Sozialdienstleistungen berücksichtigen. Die Mitteilung lässt diesen komplizierten Sachverhalt völlig außen vor.

Subsidiarität und Marktregeln

15. Aus der Rechtsprechung des EGH schließt die Kommission, dass jede Aktivität, die in der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen durch ein Unternehmen in einem bestimmten Markt besteht, als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist, und zwar unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens und der Art seiner Finanzierung. In der Praxis bedeutet das, dass jede öffentliche Dienstleistung, bei der eine Zahlung erfolgt (die nicht notwendigerweise von dem Benutzer getätigt werden muss), als wirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden kann und dass für alle diese Dienstleistungen die Regeln des Marktes gelten können, wenn nicht spezifische andere gesetzliche Regelungen getroffen wurden. Aufgrund der sehr breit gefassten Definition des Begriffs wirtschaftliche Tätigkeit könnte die Diskussion darüber, ob eine öffentliche Dienstleistung eine wirtschaftliche Tätigkeit ist oder nicht, sehr schnell ein rein akademischer Diskurs werden, und so oder so sollte dies kein Thema in unserer Debatte über einen Rechtsrahmen für soziale Dienstleistungen werden. Die allgemeinen Prinzipien öffentlicher Dienste wie Solidarität, Zugänglichkeit und demokratische Kontrolle sollten für alle öffentlichen Dienste gelten, und alle Dienstleistungserbringer sollten Maßnahmen zur Qualitätssicherung ergreifen unabhängig davon, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt oder nicht, oder ob sie öffentlich, privat oder gemeinnützig ist.

16. Ein weiterer wichtiger Grundsatz für öffentliche Dienste allgemein und für SDAI im Besonderen ist der Grundsatz der Subsidiarität. Zwar erkennt die Mitteilung der Kommission das Subsidiaritätsprinzip bei Sozialdienstleistungen ausdrücklich an, erklärt aber auf der anderen Seite, dass die Mitgliedstaaten die Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln in vollem Umfang auf SDAI anwenden sollen. Die Mitteilung bezeichnet dies als in sich schlüssige Logik. In welchem Bezug das Subsidiaritätsprinzip zu den Binnenmarktregeln steht, wird nicht geklärt. Die Mitteilung enthält keine neuen Leitlinien darüber, wie SDAI vor den Marktregeln geschützt werden sollen, sondern wiederholt nur die Rechtsprechung des Gerichtshofs und die Vorschriften, ohne weitere Interpretationen oder Erklärungen zu liefern. Die Kommission sagt lediglich, dass die Mitgliedstaaten entsprechend den bestehenden Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe, ÖPP und staatliche Beihilfen und nach den Marktregeln handeln sollen und gibt eine nur sehr oberflächliche Übersicht über diese Vorschriften.

17. Die eigentliche Aussage ist darin zu sehen, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten zahlreiche Anwälte für all die Verträge und Gesetze brauchen werden. Den Mitgliedstaaten wurden keinerlei zusätzliche Instrumente an die Hand gegeben, um ihre SDAI gegen gesetzliche Zwänge zu schützen. Die EC hat ganz offensichtlich keinen Gedanken an den Grundsatz verschwendet, dass das allgemeine Interesse Vorrang vor den Marktgesetzen haben soll, und wie das in der Praxis unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips ausgearbeitet werden soll.

18. Folgt man der Mitteilung der Kommission, bedeutet dies, dass die Marktregeln grundsätzlich anzuwenden sind und dass diese Marktregeln, wie sie vom Gerichtshof interpretiert werden, den Mitgliedstaaten genug Raum geben, um die Qualität ihrer Sozialdienstleistungen zu garantieren und zu verbessern. Aber Nutzer, Erbringer und Regierungen der EU-Mitgliedstaaten haben darauf hingewiesen, dass eine einfache Anwendung der Marktregeln ohne europäische gesetzliche Bestimmungen eine verheerende Auswirkung auf die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen wie Gesundheits- und Sozialdienstleistungen haben könnte. Leider hat sich die Kommission nicht mit der Nachhaltigkeit von SDAI oder der praktischen Anwendbarkeit von EU-Recht durch nationale Regierungen oder Kommunalverwaltungen befasst. Die Modernisierung soll durch ÖPP oder Outsourcing erfolgen.

Modernisierung???

19. Die Mitteilung der Kommission enthält einige interessante, aber auch beunruhigende Ausführungen hinsichtlich der Modernisierung von Sozialdiensten. Nach Auffassung der Kommission bedeutet Modernisierung:
• Einführung von „Benchmarking“, Qualitätskontrolle und Nutzerbeteiligung;
• Dezentralisierung der Organisation der Dienste auf die lokale und regionale Ebene;
• Externalisierung von Aufgaben des öffentlichen Sektors an den privaten Sektor;
• Entwicklung öffentlich-privater Partnerschaften

20. Die Kommission vertritt damit die Meinung, dass Dezentralisierung, Outsourcing und die Entwicklung von öffentlich-privaten Partnerschaften positive Auswirkungen auf die Erbringung von Sozialdienstleistungen oder allgemeiner auf die Sozialwirtschaft haben. Dabei lässt die Kommission die Tatsache außer Acht, dass die Organisation von Sozialdienstleistungen in den Mitgliedstaten und die Rolle des privaten und des gemeinnützigen Sektors eine sehr komplexe Angelegenheit ist, an der eine Vielzahl von Berufsgruppen beteiligt ist . Es ist absolut unmöglich, in nur einem Absatz einen realistischen und wahrheitsgetreuen Überblick über Modernisierungsprozesse und die damit verbundenen Veränderungen zu geben; da die Kommission diesen Versuch trotzdem unternimmt, vereinfacht sie wieder einmal die Wirklichkeit. Darüber hinaus hat die Kommission keinerlei Gründe oder Argumente dafür angeführt, warum Outsourcing, ÖPP oder Dezentralisierung zu bevorzugen seien. Es gibt genug Beweise für die Mängel der Outsourcing- oder ÖPP-Modelle , und es besteht kein Zweifel daran, dass diese Prozesse negative Auswirkungen auf die Qualität von Sozialdienstleistungen haben können. Dezentralisierungsmaßnahmen können die Qualität von Sozialdienstleistungen beeinträchtigen, wenn z. B. die kommunale Ebene nicht mit ausreichenden finanziellen Mitteln für deren Erbringung ausgestattet wird . Der Absatz über die Modernisierung vermittelt daher den Eindruck, hier werde die politische Meinung der Kommission vertreten, aber für die hier aufgestellten Thesen gibt es keinerlei Zahlen oder Tatsachenbelege. Und angesichts des Subsidiaritätsprinzips sollte die EC sicherlich gar nicht in diese Debatte eingreifen.

Konsultationsprozess

21. Wir schon erwähnt, wird sich der Konsultationsprozess auf die Merkmale von SDAI konzentrieren, wie sie von der EC in der vorliegenden Mitteilung dargestellt werden. Das ist aber noch nicht alles. Wenn man Absatz 3.1 liest, wird immer offensichtlicher, dass die Kommission die Vorschriften der Gemeinschaft nicht ändern oder erweitern will, indem sie mit speziellen Regelungen öffentliche Dienste vor den Mechanismen des Marktes schützt. Im Gegenteil - sie erwartet vielmehr von den Mitgliedstaaten, dass diese die Art der Erbringung öffentlicher Dienste ändern, damit sie den existierenden Gesetzen entspricht. Auch hier werden das Subsidiaritätsprinzip und das allgemeine Interesse erneut missachtet. Natürlich ist die Kommission bereit, die Gesetze und die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu erklären und damit gesetzliche Unsicherheiten zu beseitigen, es liegt aber nicht in der Absicht der EC, die bestehenden Regelungen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf öffentliche Dienste zu bewerten oder gar irgendwelche Marktregeln zu ändern.

{{Schlussfolgerung}}

22. Wenn wir die Mitteilung über SDAI oder andere sektorenbezogene Initiativen betrachten, können wir zu dem Schluss kommen, dass ein sektoraler Ansatz im Bereich der öffentlichen Dienste in einer Sackgasse endet. Bisher standen die Marktregeln bei den meisten sektoralen Debatten über öffentliche Dienste im Mittelpunkt, Überlegungen zum allgemeinen Interesse haben noch nicht einmal den Stellenwert erhalten, den sie verdienen. Dieses formelle Kommissionsdokument bestätigt wieder einmal unsere Argumente, dass wir einen allgemeinen Rechtsrahmen für öffentliche Dienste brauchen und dass wir als Gewerkschaften keinen sektoralen Ansatz tolerieren können.

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